Ulfried Geuter stellt  zehn Grundprinzipien für die körperpsychotherapeutische Praxis dar, die den Geist, den Grund und die Intention, aus der heraus sich das Vorgehen gestaltet, beschreiben. An Hand von Therapiebeispielen aus seiner eigenen Praxis werden die Prinzipien lebendig. Er stellt sich als Person zur Verfügung, hier im Buch wie in seiner Praxis und vermittelt so einen lebendigen Einblick in seine therapeutische Arbeit.

Der Ansatz ist prozessorientiert: der Patient macht neue emotionale Erfahrungen, die ihm helfen, seine dysfunktionalen Muster des Erlebens und Verhaltens zu verändern. Prozessziele können unter anderem sein, sich selbst besser wahrzunehmen, einen Konflikt in einem Rollenspiel zu klären oder überschießende Affekte zu regulieren. Sie helfen, die (psychotherapeutischen) Ziele des Patienten zu erreichen.

Zur Beschreibung der zehn Prinzipien zieht er Literatur aus allen Richtungen der Körperpsychotherapie hinzu, so dass sich sowohl die KBT-Therapeutin als auch der Bioenergetiker dort wiederfinden können.

Übergeordnete Prinzipien der Psychotherapie wie Klärung und Konfrontation, Verbalisierung emotionaler Erlebnisinhalte oder Lernen durch wiederholte Erfahrung finden in der Körperpsychotherapie ihre Anwendung, ebenso wie die Orientierung am Prozess und am Erleben. Zehn verfahrensspezifische Prinzipien beschreibt er in einzelnen Kapiteln: (1) Wahrnehmen und Spüren, (2) Gewahrsein und Gegenwart, (3) Erkunden und Entdecken, (4) Aktivieren und Ausdrücken, (5) Regulieren und Modulieren, (6) Zentrieren und Erden, (7) Berühren und Halten, (8) Inszenieren und Interagieren, (9) Verkörpern und Handeln und (10) Reorganisieren und Transformieren.

Atmen und Bewegen sind nicht in einem eigenen Prinzip benannt, Geuter betrachtet sie als Aspekte des Erlebens körperlicher Funktion. Hier hat die KBT einen anderen Begriff von Bewegung, der sowohl körperliche als auch seelische Bewegung umfasst und damit ein Prinzip verdient hätte.

Ein Kapitel ist der (Einzel-)Therapiestunde gewidmet. Für Geuter beginnt die Stunde in der Regel im Gespräch, ein Wechsel zu körperbezogener Arbeit entsteht im Prozess.  Das Setting kann variieren vom Sitzen zum Stehen, Gehen oder Liegen. Der Raum und vielfältige Gegenstände können einbezogen werden.

Erleben und Erfahren sind in der Therapie von grundlegender Bedeutung, genauer: ein mit Bedeutung versehenes emotionales Erleben ist Schlüssel für Veränderung. Vertieftes Erleben ist ein Weg des Zugangs zu unbewussten Mustern, Selbsterleben erfolgt über das Körpererleben. Mit neuen Erfahrungen in der Therapiestunde können alte Muster korrigiert und die Fähigkeit zur Selbstregulation und Selbstreflexion verbessert werden.

Geuter wendet sich vehement gegen die Bezeichnung ‚nonverbale’ Therapie und setzt dagegen eine verkörperte erlebnisfördernde Sprache. Es geht ihm um den Prozess des gemeinsamen Suchens nach der Be-Deutung von Erfahrungen, nicht nach Deutung durch den Therapeuten. Er empfiehlt, Metaphern zu verwenden, Verben zu nutzen, die oft eine körperliche Anmutung haben, Fragen zu stellen (was lange in der Therapie verpönt war). Dieses Kapitel ist für mich erfrischend, da ich meine oft eher intuitive Praxis des therapeutischen Sprechens systematisch zusammengefasst und bestätigt finde.

Ein ausführliches Kapitel über die therapeutische Beziehung greift Ergebnisse der Psychotherapieforschung auf, wonach die Beziehung stärker wirkt als die angewandte Methode. Die Beziehung wird in der Körperpsychotherapie als verkörperte Begegnung von Subjet zu Subjekt verstanden, die vom Therapeuten Präsenz, Kontakt und differenzierte Rollenübernahme verlangen. Die Körperpsychotherapeutin sei wie eine ‚Hebamme, die hilft, ein Kind auf die Welt zu bringen, das von selbst kommt’, sie begleitet aktiv, sie braucht den Mut, zum richtigen Zeitpunkt in einen autonomen Prozess einzugreifen.

Das Buch wird abgerundet durch zwei Kapitel, die sich mit Wirkfaktoren und Wirkungen der Körperpsychotherapie beschäftigen.

Zusammenfassend kann ich dieses umfangreiche Kompendium der körperpsychotherapeutischen Praxis empfehlen, vor allem für ärztliche und psychologische approbierte Psychotherapeuten, die die Körperpsychotherapie in ihrer Praxis kreativ anwenden möchten. Zwei Mängel tun sich für mich auf: einerseits fehlt die Praxis der körperpsychotherapeutischen Gruppenarbeit völlig. Andererseits fehlt der Blick auf die Arbeit der in der Regel nicht approbierten Körperpsychotherapeuten in der Klinik. Sie können sicherlich von den zehn Prinzipien profitieren, aber in den fokussierten Kurzzeitbehandlungen in der Klinik muss das prozessorientierte Arbeiten sehr modifizieren werden.

Insgesamt ist das Buch ein großer Schritt auf dem Weg, für die verschiedenen Schulen eine gemeinsame Sprache zu finden.

Geuter Ulfried (2019) Praxis Körperpsychotherapie – 10 Prinzipien der Arbeit im therapeutischen Prozess. Springer Verlag, Heidelberg, ISBN 978-3-662-56595-7, 508 Seiten, € 49,99

Karin Schreiber-Willnow

Eine ausführliche Rezension findet sich in der Zeitschrift Psychotherapeut 2019, 64(4), 349-352: „Verkörperte Begegnung von Subjekt zu Subjekt“.

Der Artikel steht auch elektronisch unter seinem DOI zur Verfügung:
http://link.springer.com/article/10.1007/s00278-019-0356-y